Geschichte und Entwicklung des Buddhismus in der Schweiz

Ein Zazen-Tag im Zen Dōjō in Zürichs Innenstadt, ein dreitägiges Meditationsseminar im Meditationszentrum Beatenberg hoch über dem Thunersee mit Blick auf die Alpenkette, wöchentlicher Unterrichts- und Meditationsabend im buddhistischen Zentrum Vimalakirti in Genf oder ein Dharma-Wochenende mit Rezitation und Belehrungen in den vietnamesischen Pagoden in Bern oder Luzern – Buddhismus in der Schweiz im 21. Jahrhundert ist vielfältig und die Praxis- und Lehrangebote unterscheiden sich in hohem Masse. In den Städten besteht ein grosses Angebot an Gruppen und Zentren verschiedener buddhistischer Traditionen, überdies finden sich zahlreiche stadtfern gelegene Tagungshäuser und Retreat-Zentren für mehrtägige Anlässe.

Wie in anderen Ländern Europas ist das Interesse an buddhistischer Meditation und Unterweisung gross und führte seit den 1970er-Jahren zur Gründung zahlreicher Gruppen und Zentren. Die Anzahl Buddhistinnen und Buddhisten ist aufgrund von Konversionen sowie Flucht- und Zuwanderungsbewegungen aus mehrheitlich buddhistischen Ländern Asiens stetig gewachsen und beläuft sich dem Schweizerischen Bundesamt für Statistik zufolge im Jahr 2017 auf 37'000 Personen (ab 15 Jahren). Damit erhöhte sich der Anteil statistisch erfasster Buddhistinnen und Buddhisten in der Bevölkerung von 0,3 Prozent im Jahr 2000 auf 0,5 Prozent 2017. Angesichts des positiven Images des Buddhismus in der Schweiz geht das Interesse an buddhistischen Lehren und Praktiken jedoch weit über diese Zahlen der Statistik hinaus.

Vor dem Boom des Interesses an buddhistischer Praxis und Lehre sind nur wenige buddhistische Aktivitäten, zumeist von Einzelpersonen zu benennen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigte der aus Deutschland in die Schweiz geflohene Musiker Richard Wagner ein offenes Interesse am Buddhismus. Über die Schriften Arthur Schopenhauers war Wagner auf den Buddhismus gestoßen und plante 1856 die buddhistische Oper Der Sieger. Das Stück vollendete Wagner trotz mehrerer Revisionen und weiterer, schöngeistig-idealisierender Buddhismusrezeption nie.

Eine gänzlich andere, lebenspraktisch umgesetzte Buddhismusrezeption kam 1909 mit dem deutsch-gebürtigen Mönch Nyānatiloka (Anton W.F. Gueth, 1878 - 1957) in die Schweiz. Auf Einladung der Deutschen Pali-Gesellschaft war Nyānatiloka in der Mönchsrobe von Ceylon gekommen, um das erste Kloster für buddhistische Mönche in Europa zu gründen. Treibende Kraft des Vorhabens war Walter Marktgraf, vermutlich Schweizer Buchhändler und 1907 von Nyānatiloka in Burma zum Mönchsnovizen geweiht. 1910/11 lebte Nyānatiloka mit drei Schülern mehrere Monate in der vom Industriellen und Buddhist R. A. Bergier erbauten Einsiedelei 'Caritas-Vihāro' in Lausanne. Da nur wenige Spenden für das zu erbauende Kloster eintrafen, verließ Nyānatiloka die Schweiz, um in Südceylon, auf der von Bergier erworbenen und Nyānatiloka geschenkten Insel Polgasduwa seine später berühmte ‘Island Hermitage’ aufzubauen.

Erst 30 Jahre später, 1942, kam es durch das Wirken von Max Ladner (1889 - 1963) und Raoul von Muralt (1891 - 1975) zur Gründung der Buddhistischen Gemeinschaft Zürich. Die Gruppe von zwölf bis 15 Personen traf sich monatlich zu philosophischen Lehrgesprächen auf der Grundlage des Pāli-Kanons im Privathaus Ladners. Ab 1943 gab die Gruppe Mitteilungen der Gemeinschaft heraus, die ab 1948 als Monatszeitschrift Die Einsicht mit Artikeln zahlreicher international bekannter Autoren und Autorinnen erschien. Während der Kriegs- und Nachkriegsjahre war die Einsicht lange Zeit die einzige buddhistische Zeitschrift und daher ein im deutschsprachigen Raum, aber auch international wichtiges Publikationsorgan. Der Verlag Christiani in Kreuzlingen stellte jedoch zum grossen Bedauern von Ladner die Zeitschrift 1961 ein, womit auch die Gemeinschaft endete.

Mit den 1960er-Jahren kam es zu grundlegenden Veränderungen der bisher vornehmlich am Pāli-Kanon orientierten literarisch-philosophischen Buddhismusrezeption. Das Interesse an buddhistischen Meditationsformen und die Ankunft erster Buddhisten und Buddhistinnen aus Asien standen im Vordergrund. Die Schweiz war das erste Land Europas, das in den frühen 1960er-Jahren in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Roten Kreuz etwa 1'000 tibetische Flüchtlinge aufnahm. Zur kulturell-religiösen Betreuung und zur Minderung anfänglicher Probleme, in fremder Umwelt zu leben, errichteten wichtige Förderer, wie die Brüder Kohn, mit der Zustimmung des 14. Dalai-Lama 1968 das Klösterliche Tibet-Institut bei Rikon. In dem Kloster lebt seitdem eine Mönchsgemeinschaft und betreut die gegenwärtig etwa 4'000 Tibeterinnen und Tibeter in der Schweiz.

In der Schweiz setzte ebenso wie in Frankreich, Deutschland und weiteren Ländern ab den frühen 1970er-Jahren ein Boom des Zen-Buddhismus ein. Vortrags- und Besuchsreisen der japanischen Zen-Meister Nagaya Rōshi und Deshimaru Rōshi weckten rasch das Interesse an Praktiken der Zen-Meditation. Erste Zen-Gruppen bildeten sich 1972 in Genf und 1975 in Zürich, bald gefolgt von weiteren Gruppen und Zentren in zahlreichen Städten und Gemeinden. Ab Mitte der 1970er-Jahre führten Besuchsreisen und Lehrunterweisungen ranghoher tibetisch-buddhistischer Würdenträger zur Gründung erster Lokalgruppen und Zentren. So kam es durch das dynamische Wirken von Ole Nydahl zur Gründung von Gruppen und Zentren der Karma-Kagyüpa. Ende der 1990er-Jahre umbenannt in Diamantweg Buddhismus dürfte dieser mit acht Zentren und sieben Lokalgruppen einer der organisatorisch stärksten Gruppierungen in der Schweiz sein. Ebenso bildeten sich Gruppen und Zentren durch Schüler unter anderem von Sogyal Rinpoche und Geshe Kelsang Gyatso. Mit den 1980er- und 1990er-Jahren entstanden zudem zahlreiche Lokalgruppen und Meditationshäuser, in denen vornehmlich die Praxis der vipassanā-Meditation angeboten wurde. Als eine der frühesten Schweizer vipassanā-Lehrer gründete Fred von Allmen 1978 die Dhamma-Gruppe in Bern, 2001 gefolgt von der Etablierung des Meditationszentrums Beatenberg.

Parallel zur steigenden Anzahl von Gruppen und Zentren, die mit Ausnahme der zwei tibetischen Klöster ausschließlich auf das Meditationsinteresse von gebürtigen Schweizerinnen und Schweizern zurückgeht, kam es in den 1980er-Jahren zu Gründungen von kulturell-religiösen Organisationen und Kulturzentren von Buddhisten und Buddhistinnen aus Ländern Asiens. Die Pagoden, Klöster und Zentren von kambodschanischen, vietnamesischen, thailändischen und taiwanesischen Flüchtlingen und Immigranten dienen vornehmlich der Pflege der national-kulturellen und buddhistischen Traditionen. Seit einigen Jahren ist etwa bei buddhistischen Festen vermehrt eine Öffnung für allgemein am Buddhismus Interessierte wahrzunehmen, zudem sind angesichts des Mangels an Mönchen und Nonnen sowie dem Heranwachsen der zweiten, teils dritten Generation Änderungen unumgänglich.

Zu Beginn des Jahres 2021 gab es gemäß unserer neuen Erhebung in der Schweiz knapp 160 buddhistische Gruppen, Zentren und Klöster. Der Zuwachs buddhistischer Gruppen und Zentren erfolgte insbesondere in den 1990er- und 2000er-Jahren, als jeweils über mehr als vierzig Neugründungen erfolgten; in den 2010er-Jahren entstanden 35 neue Gruppierungen. Diagramm 1 zeigt die prozentuale Verteilung buddhistischer Traditionen und die Gründung und Anzahl buddhistischer Gruppen und Zentren von 1965 bis 2020 auf.

Insbesondere in städtischen Räumen besteht eine Pluralität und ein Nebeneinander vieler buddhistischer Gruppen und Zentren. 2021 bestanden in den Kantonen Genf und Zürich 21 bzw. 28 buddhistische Organisationen, im Kanton Luzern waren es 14 Gruppen und Zentren. Buddhismus in der Schweiz ist überwiegend ein urbanes Phänomen. Dies verdeutlicht die kartografische Darstellung buddhistischer Gemeinschaften für die Erhebung 2021 (Grafik 1). Zugleich dienen etwa die auf Bergen eingerichteten Meditationszentren Beatenberg und Felsentor, oder die ländlich gelegenen Praxisorte Haus Tao, Haus der Besinnung bzw. der Zen-Tempel Kôsetsu-ji im Jura Distanz von der Hektik der Stadt und dienen der Vertiefung während mehrtägigen Veranstaltungen.

Ein gutes Viertel der buddhistischen Gruppen und Zentren sind Mitglied im nationalen Dachverband, der Schweizerischen Buddhistischen Union (SBU). Die 1978 gegründete SBU bzw. L' Union Suisse des Bouddhistes (USB) versteht sich als Forum buddhistischer Zentren und Einzelpersonen, um gemeinsame Anliegen nach außen zu vertreten. Die SBU ist Mitglied in der Europäischen Buddhistischen Union und hatte 2002 gemeinsame buddhistische Grundwerte, die die dreifache Zufluchtnahme, die Vier Edlen Wahrheiten und dem Hinweis auf Respekt und Achtung der vielfältigen buddhistischen Traditionen untereinander umfassen, verabschiedet. Die SBU führt jährlich einen Thementag zu übergreifenden buddhistischen Fragen und Aspekten durch und stellt Informationen zu Themen wie Sterben und Tod, Therapie, Rituale, Frauen und Buddhismus und eine Literaturliste bereit. Die SBU beteiligt sich zudem im interreligiösen Dialog und arbeitet aktiv in der Interreligiösen Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz mit.

Copyright Martin Baumann, 5/2021

Eine ausführlichere Ausgabe dieses Textes